Der Weg nach Sumy
Eigentlich wollte ich einen jungen Deutschen besuchen, der gerade als Freiwilliger zum 102. Bataillon der 108. Brigade der Territorialverteidigung gestoßen ist. Hinsichtlich ihrer Aufgaben lässt sich diese Gliederung mit dem Heimatschutz der Bundeswehr vergleichen, wenngleich sie mittlerweile auch über schweres Gerät verfügt. Doch aus diesem ursprünglichen Vorhaben wird leider nichts. Ohne spezielle Erlaubnis darf ich nicht an die Front. Die kann mir allerdings trotz kurzem Draht zu Stabsoffizieren in der Brigade niemand erteilen, weil meine Akkreditierung als Kriegsberichterstatter nicht mehr gültig ist. Für eine erneute Akkreditierung bleibt zu wenig Zeit. Da ich ohnehin schon in Dnipro bin, treffe ich mich mit einem Angehörigen des 102. Bataillons, der vom Brigadekommandeur die Erlaubnis erhalten hat, mit mir zu sprechen. Stolz zeigt er mir sein Büro, denn er war vor der Invasion Notar und wird es auch bald wieder sein. Noch drei Wochen ist er Soldat im Rang eines Oberfeldwebels, dann wird er sechzig Jahre alt und scheidet wegen Erreichens der Altersobergrenze aus der Armee aus. Wohlverdient, finde ich, als ich mir seine Auszeichnungen ansehe. Neben Patches und Orden zieren die Wände seines Notariats auch mehrere stilvolle Gemälde, darunter Rembrandts „Mann mit dem Goldhelm“. Leider spricht der ältere Herr kein Englisch und meine Ukrainischkenntnisse reichen nur für Smalltalk der seichtesten Sorte, also bemühen wir häufig den Google-Übersetzer. Manchmal kommen dabei recht ulkige Phrasen heraus. So lässt er etwa folgenden Satz von einer zarten Frauenstimme vorlesen: „Ich möchte Sie mit ukrainischem Borschtsch verwöhnen. Mögen Sie Borschtsch?“ Klar mag ich Borschtsch. Als ich kurz darauf ein Stück von einer zum Borschtsch gereichten Knoblauchzehe abschneide, lässt sich dieselbe KI-Stimme wie folgt vernehmen: „Meine Kameraden waren in den letzten drei Jahren Krieg ständig krank und ich kein einziges Mal. Das liegt daran, dass ich viel Speck und Knoblauch esse und kein Paracetamol einnehme.“